Das Imperium des Westens
Rhiel
Die dritte Kurzgeschichte zu Rhiel ist ein innerer Monolog des Zeron Soric von Rhiel. In diesem resümiert er prägende Ereignisse seines Lebens und erzählt von einer Ambition, die großen Einfluss auf die erst kurz vergangene Geschichte der Welt des Syncanit hat …
Unabhängigkeit
Ein Versprechen
Wir haben unser Existenzrecht erkämpft. Das II. Justiztriumvirat erkämpft. Doch vor allem einen gleichberechtigten, wenn nicht gar überlegenen Platz zwischen den Staaten eingenommen. Blut und Eisen, Schweiß und Geduld. Die Leben von Millionen Zerern, geopfert für das Imperium des Westens – verschlungen von den Flammen des Phönix und seinen Idealen. Manche beschreiben so das Erbe Rhiels. Wir nicht. Denn weder sind die Opfer der anderen Völker einkalkuliert, noch haben wir uns mit den Beweggründen der Taten der dreihundertjährigen Geschichte auseinandergesetzt. Stattdessen stets die Siege gesehen. Die Niederlagen verdrängt und uns dem Dogma unterworfen.
Spätestens mit dem Wolkenkrieg, dem Ende der Ära des Westens, hätte klar sein müssen, dass Rhiel sich als Allianz weiterentwickeln muss. Avadur gab seinen Anspruch auf das Wolkenmeer auf, Tycos verlor sich in Innenpolitik, hielt lediglich die zentralen Provinzen und versuchte so die Handelsgilden zu kontrollieren. Dabei gab es Probleme, die alle Akteure des Kontinents betrafen und unsere Aufmerksamkeit forderten. Zwar existiert der Zusammenschluss der drei Staaten im Kampf gegen die Racyrer seit Jahrhunderten – eine besondere Stellung nahm er jedoch nie ein. Nur selten knüpften die Asuren der Staaten gute Bande zueinander, denn letztlich sind sie es, die für ihre Fraktion bluten müssen – die Akteure, zwischen denen sich Kriege entscheiden. Doch führte die Bedrohung durch die Racyrer zu einer Situation, welche außergewöhnliche Maßnahmen erforderte.
So kam es, dass ein Brief des IV. Justiztriumvirat mich erreichte, uns alle vor das Tribunal in Ileos zitierte. Sieben Asuren dreier Reiche, versammelt vor dem Triumvirat – ein Ereignis, das es so nur selten in der tausendjährigen Geschichte des Kontinents gegeben hatte. Die darauf folgenden Ereignisse schweißten uns zusammen, ließen den ursprünglichen Gedanken, dieser Allianz erblühen. Mein bester Freund ein Tycaner – meine Liebe eine Avadin. Unsere Tochter würde das erste Mischblut der letzten hundert Jahre sein. Ein Zeichen der Versöhnung, die Basis eines grenzenlosen Potentials. Manchmal scherzten wir die Fraktionen einigen zu können. Architekten eines goldenen Zeitalters zu sein. Denn Frieden ereilte den Kontinent, hielt länger denn je, erlaubte uns neu zu denken und unseren eigentlichen Feind in die Enge zu treiben.
Nach und nach dezimierten wir die Racyrer, räucherten ihre Tempel aus, bewahrten die Welt vor dem Einfluss der halbblütigen Nachkommen falscher Götter, die vor Anbeginn der Zeitrechnung diese Welt beherrschten. Eine Order des I. Justiztriumvirat, erteilt vor hunderten Jahren – dem Moment, als das erste Mal klar wurde, dass die Macht des Syncanit ein Individuum grenzenlos befähigen und ganze Staaten an ihm versagen können. Es sind die Gene der falschen Götter, welche die Racyrer derart sensitiv für die Ätherenergie des Syncanit machen. Kombiniert mit ihrem Hintergrund, dem Kult ihrer Ahnen, macht sie dies zum Feind der vom Joch der Götter befreiten Welt, was den Vorrang damit konnotierter Angelegenheiten begründet – zumindest sollte dem so sein.
Wenn eines unsere Staaten eint, dann ist es die Angst vor dem Fall. Der Verlust unserer Unabhängig- und Handlungsfähigkeit. Diese simple Wahrheit war es, welche die Bande zwischen unserer Generation Asuren ermöglichte – auf deren Basis wir weit mehr entwickeln konnten. Nun sollten es die Fraktionen und ihre Völker sein, die mehr entwickeln. Vertrauen, Zusammenhalt, eine gemeinsame Linie in den Fragen um das Syncanit. Zu lang arbeiteten die Allianzen gegeneinander, beriefen sich auf Dogmen und ihre Werte, fanden keinen Konsens, stattdessen streit. Zwar gab es das Justiztriumvirat, welches ein Grundgesetz, eine basische Verfassung wahrt und uns vor Tyrannen schützt, doch braucht es weit mehr als ein Tribunal, weit mehr als das blinde Schwert, um zu vereinen – ein Parlament. Einen Ort, an dem die Perspektiven aufeinander treffen konnten ohne, dass schlimmeres als ein verbaler Schlagabtausch zu befürchten war. Erst lachte man mich aus, doch Wamelor und Ellyndra unterstützten meinen Vorschlag, ließen mich je vor ihrem Zeron vorsprechen – die Idee gelingen.
Tycos wurde Gastgeber des imperialen Konzils, richtete einen eigenen Saal für die Delegierten der Staaten ein, hoffte so einfacher global agieren zu können. Rhiel kam es gelegen, das Volk lehnte die Einmischung in die Angelegenheiten der anderen Staaten gemäß ihrem Dogma ab. Genauso Avadur, wobei es dort eher ein Mangel an Interesse war, zumal die Reise in das ewige Eis keinem gelegen kam. Binnen weniger Monate gerieten wir Asuren in den Mittelpunkt der globalpolitischen Betrachtung, wurden von bloßen Wächtern zu Diplomaten erhoben, gewannen trotz unserer eigentlich auf das Exekutive beschränkte Funktion einen großen legislatorischen Einfluss. Die Scherze wurden wahr, unsere Arbeit begann.
Das goldene Zeitalter des Konsens, der Vernunft, brach an, eingeläutet von einer Schnapsidee und dem bloßen Wunsch einer besseren Zukunft. Träumerisch, so klingt es manchmal für mich, wenn ich daran zurückdenke, wobei mir auch ein zweites Wort in den Sinn kommt. Naivität. Vielleicht hatten wir ein Forum, doch fehlte es an der zur Einheit befähigenden Kraft. Das sie jetzt noch nicht von den Völkern ausgehen würde war zu erwarten, die Gräben der Geschichte sind zu tief, die Wunden längst nicht verheilt. Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte würde es dauern, bis die Massen diesen Zustand akzeptieren, für alltäglich empfinden. Doch selbst dann sind unsere Philosophien noch zu verschieden, der Kompromiss stets mit Abstrichen verbunden.
Das Versprechen der Unabhängigkeit Rhiels begann mit Feuer und Blut, hielt durch Drill und Abschreckung – schien in Papier und Wort zu vergehen. Die föderale Struktur des Landes stand erstmals in Frage, genauso das Dogma der Stärke und Unabhängigkeit. Protestanten sahen Freiheit und Idylle, ihre Zeitlosigkeit durch die Abgabe von Kompetenzen in Gefahr, lehnten den Paradigmenwechsel strikt ab. Doch genauso gab es Befürworter des Regierungskurses, ausgehend vom Bürgertum. Den Händlern, Gelehrten, allen Zerern, welche ihren Blick sowieso schon über die Grenzen des Westens hinweg richteten.
Ob das Versprechen der Unabhängigkeit durch die Allianz Rhiels und deren Dominanz durch etwas anderes als ein Gewaltmonopol abgelöst werden konnte, war das große Experiment zu Beginn der Ära des Ostens. Die im Scherz geäußerte Idee des rhilianischen Asuren Soric Flasyra, die Bestätigung durch die anderen Asuren erfuhr und ungeahnte Entwicklungen auslöste. Ein Zufall, möglich geworden durch ein Problem, für dessen Lösung neue Wege gegangen werden mussten und dem Mut der Asuren eben dies zu tun. Welchen Ausgang all dies nehmen würde vermochte niemand zu sagen, doch bereitete die Führung Rhiels alle aus ihrer Sicht möglichen Ausgänge vor – blieb pragmatisch und ihrer selbst Treu.